Von Frank Stocker, Zagreb/Welt.de
Kroatien will den Euro und hat daher harte Reformen durchgesetzt, allen voran bei der Rente. Doch das hat viele Bürger erzürnt. Sie sehen sich unter ‘dem Diktat fremder Mächte’ – und rebellieren. Gerade für die Jungen steht einiges auf dem Spiel.
Nur wenige Meter vom zentralen Platz der kroatischen Hauptstadt Zagreb entfernt liegt der Trg Europe, der Europa-Platz. Hier flattern diverse europäische Flaggen, an der Adresse logiert ein Bürgerinformationsbüro der EU und direkt daneben ein Fitness-Shop – was durchaus Symbolkraft hat. Schließlich will Kroatiens Regierung das Land fit machen für eine weitere Integration in die EU, insbesondere für einen Beitritt zum Euro.
Doch beherrscht wird der Platz dieser Tage von Aktivisten, die ein ganz anderes Anliegen haben. Im ganzen Land sammeln sie Unterschriften für ein Referendum, das die jüngste Rentenreform rückgängig machen soll. Sie setzen auf die Wut vieler Bürger über die Reformen der vergangenen Jahre.

Diese haben dazu geführt, dass das Land im neuen Reformbericht der Berenberg Bank, einer Analyse aller europäischen Staaten, beim Reform-Elan weit vorne liegt. Und diese haben dazu geführt, dass die Wirtschaft seit einigen Jahren deutlich wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt und die Löhne kräftig steigen.
Doch all das kann nicht die vielen wirtschaftlichen und strukturellen Probleme verschleiern, die das Land nach wie vor plagen und die die Politik erst noch angehen muss, um es wirklich fit für den Euro zu machen.
Kroaten arbeiten nur 30 Jahre bis zur Rente
’67 je previše’ – 67 ist zu viel: Mit diesem Slogan werben die Unterschriftensammler derzeit um Unterstützung. Denn am 1. Januar trat ein neues Gesetz der Regierung aus konservativer HDZ und liberaler HNS in Kraft. Dadurch wird das Renteneintrittsalter nach und nach angehoben, ab 2033 sollen sowohl Männer als auch Frauen erst mit 67 Jahren in Rente gehen können. Wer früher in den Ruhestand will, muss dann Abschläge von 0,3 Prozent pro Monat hinnehmen.

Das klingt für deutsche Ohren reichlich bekannt. Es entspricht im Wesentlichen dem, was auch hierzulande gilt. Nur ist die Lage des Rentensystems in Kroatien noch dramatischer als in Deutschland. Arbeitsminister Marko Pavić zufolge arbeiten die Kroaten im Schnitt nur 30 Jahre, bevor sie in Rente gehen, im EU-Schnitt seien es 35 Jahre, in Deutschland sogar 37 Jahre. Und das Defizit der Rentenkasse vergrößert sich Jahr für Jahr, zuletzt lag es bei fast vier Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Reform soll das System stabilisieren und die Finanzen des Staates schonen.
Dennoch machen drei Gewerkschaften dagegen mobil und wollen die Reform mit Hilfe eines Referendums kippen. Für sie ist die Reform vor allem ein Kotau vor ausländischen Mächten. Sie riefen die Bürger dazu auf, nicht den ‘Lügen des Arbeitsministers’ zu glauben, die er unter ‘dem Diktat fremder Mächte’ verbreite. Damit spielen sie auf die Europäische Kommission und den Internationalen Währungsfonds (IWF) an, die das Land zu dieser Reform ermuntert haben.
Tatsächlich lobt der IWF die Regierung. ‘Die kürzlich verabschiedete Rentenreform ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung’, schrieb er in seinem letzten Bericht im Februar. Auch das Berenberg-Euroskop lobt die Regierung dafür und für andere Reformen der vergangenen Jahre, wozu unter anderem eine umfassende Steuerreform gehörte.
Diese hatte jedoch ebenfalls schon Unmut ausgelöst, vor allem in Städten wie Dubrovnik. Dort beginnt zwar dieser Tage erst die Reisesaison, doch die Stadt ist bereits jetzt voller Touristen. Zwischen den Altstadtmauern wimmeln Tausende Gäste diverser Kreuzfahrtschiffe umher, treffen auf Game-of-Thrones-Fans, die die Kulissen der Kult-Serie betrachten wollen. Und diese treten wiederum chinesischen Gruppen auf die Füße, die hinter ihrem Reiseleiter herpilgern und die engen Gassen verstopfen.
Wer sich in dem Getümmel etwas ausruhen und einen Kaffee genießen möchte, der muss sich auf den nächsten Schock gefasst machen: Ein Cappuccino ist selten unter vier Euro zu bekommen. Wer etwas essen möchte, muss richtig tief in die Taschen greifen. Ein Grund dafür: Mit der Steuerreform wurde die Mehrwertsteuer drastisch von 13 auf 25 Prozent erhöht, und die Touristendestinationen wurden davon nicht ausgenommen. Das brachte viele Hoteliers und Gastronomen auf die Palme.
Der Aufschwung schwächt sich schon wieder ab
Der Staatskasse brachte es jedoch üppige Zuflüsse, denn immerhin steht der Tourismussektor für ein Fünftel der Wirtschaftsleistung. Im vergangenen Jahr konnte der Finanzminister daher erstmals seit der Unabhängigkeit des Landes einen Überschuss ausweisen – ein großer Pluspunkt des Landes. Die Staatsverschuldung ist in den vergangenen vier Jahren von 84 auf 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken. Sie müsste unter 60 Prozent sinken, damit Kroatien eine Chance hat, in die Eurozone aufgenommen zu werden.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber ohnehin hat das Land noch diverse andere wirtschaftliche Schwachstellen zu bewältigen. So solle Kroatien nicht nur seine Finanzen in Ordnung bringen, wie der IWF kommentiert. Es solle auch sein mittelfristiges Wachstumspotenzial verbessern.
Denn die Wirtschaft ist zwar seit 2015 jedes Jahr zwischen zwei und drei Prozent gewachsen, nachdem sie zuvor sechs Jahre lang in der Rezession gefangen war. Doch jetzt schwächt sich der Aufschwung schon wieder ab. ‘Mittelfristig dürfte sich das Wachstum Richtung zwei Prozent bewegen’, warnen die IWF-Experten, ‘vorausgesetzt, dass die strukturellen Reformen weiter schleppend verlaufen.’

Das Wachstum wird in Kroatien fast ausschließlich vom privaten Konsum und vom Tourismus getrieben. Gerade die Industrie hat dagegen mit diversen Problemen zu kämpfen, wie der Berenberg-Report herausstellt. So rangiert Kroatien auf dem Doing-Business-Index der Weltbank nur auf Platz 58, hinter den meisten anderen osteuropäischen Ländern, von Slowenien über Serbien bis zum Kosovo. Der Index misst, wie leicht die Gründung oder Führung eines Unternehmens in einem Land ist.
Auch das Justizwesen, das Gesundheitssystem und die öffentliche Verwaltung gelten als ineffektiv und reformbedürftig – und das, obwohl das Land mehr Geld für die öffentliche Verwaltung ausgibt als alle anderen osteuropäischen Länder. Die Ineffektivität zeigt sich vor allem bei der Nutzung von EU-Subventionen. Diese kann Kroatien teilweise nicht in Anspruch nehmen, weil die Verwaltung es nicht schafft, sie zu beantragen. Auch hier rangiert das Land noch hinter Bulgarien oder Rumänien.

Und dann ist da noch die Bevölkerungsentwicklung: Seit 1990 hat das Land fast 20 Prozent seiner Einwohner verloren, nach wie vor wandern viele Menschen aus, meist in andere EU-Staaten. Zurück bleiben die Alten; die Jungen zahlen dagegen in die Rentenkassen anderer Staaten ein. Auch das ist ein Grund, warum die jüngste Rentenreform so wichtig war, um die Finanzen des Landes zu stabilisieren und gerade für die Jungen eine Zukunft im Land selbst zu ermöglichen.
Doch das steht jetzt auf dem Spiel. Rund 385.000 Unterschriften müssen für das Referendum zusammenkommen, das die Aktivisten auf dem Europa-Platz wollen. Bis zum 11. Mai haben sie Zeit – dann wird sich zeigen, ob es wirklich eine Chance – oder die Gefahr – gibt, die Rentenreform zurückzudrehen. Für Kroatien hängt viel davon ab.
Dieser Text ist Teil der “Euroskop”-Serie, die in Zusammenarbeit mit POLITICO Stärken und Schwächen verschiedener EU-Länder im Vorfeld der Europawahl untersucht.

Datum objave: 12.05.2019.